Martin Schulz

Leitbildprozess Bad Godesberg: Was die Steuerer anbieten, das ist zu wenig

Von Klaus Vater

Zwei Vertreter des Planungsbüros, das den Bad Godesberger Leitbildprozess zu organisieren und zu steuern hat, haben dem Bonner General-Anzeiger am 31. Oktober Rede und Antwort gestanden. Ganzseitig. Der Erkenntnisgewinn aus der bisherigen Arbeit ist freilich – ausweislich der Antworten der  beiden, Ursula Mölders und Sven Wörmer im GA  – gering.

Auf die Frage von GA-Redakteur Richard Bongartz, wo der Ort (also Bad Godesberg) seine Stärken habe, sagte Regionalforscher Sven Wörmer: „In der städtischen Grundstruktur und auch im Charme des ehemaligen Diplomatenviertels.“ Er riet, diese Stärken deutlicher herausarbeiten, sie touristisch und auch für die Identität zu nutzen. Frau Mölders meinte, ein Teil der Fußgängerzone sei mit seinen Baumbeständen „sehr atmosphärisch“, ihr Kollege hat erkannt, dass die Rückseiten der Fußgängerzone unstrukturiert seien, „man verliert jede Orientierung“. Jede Orientierung? In Godesberg? Loriot hätte gesagt: Ach was.

Wem hilft das? Was wird da in Worten abgebildet? Tatsächlich sind die Ausführungen ein Art Offenbarungseid. Zugespitzt lautet der: Wir wissen eigentlich nix.

Die Grundstruktur ist in Godesberg wie in Bonn insgesamt durch die Geographie vorgegeben: Ein enges Rheintal, auf der rechten Seite des Flusses teils nah an den Rhein heranrückende Felsen; eng bis dorthin, wo der Ennert aufhört. Auf der linken Seite die Rheinhöhen mit dem Kottenforst und dem Ländchen dahinter.  Die Stadt ist mit ihrem Stadtteil Beuel auf die „schäle Sick“ übergesprungen, und sie hat ihre „römische“ Seite durch Brücken wie durch einige Arterien mit der rechten Seite verbunden.

Bonn und Godesberg sind Teil eines Siedlungs- und Wirtschaftsraumes, der sich vom Niederrhein über Düsseldorf, Leverkusen, Köln, Brühl bis Bonn und darüber hinaus bis Koblenz erstreckt. Mit ein wenig zugegebener Übertreibung ließe der Raum sich als informelle Millionenstadt bezeichnen.

Wer sich ausbreiten, wer etwas ironisch geschrieben die Ellenbogen räumlich ausfahren will, der muss raus aus Bonn. Das prägt auch Bad Godesberg. Die Enge des Rheintals hat die Stadt-„Landschaft“ zusammen gepresst: Alles dicht nebeneinander. Unter solchen Umständen baut die innerstädtische Akkumulation die Teile ineinander und übereinander und gegeneinander; stets auf engem Raum. In den alten Dorfkernen des Stadtteils sowie in der Godesberger „City“ ist das gut zu beobachten. Wer das versteht, begreift auch den eigenen Reiz solcher Verhältnisse.

Da gibt es Bauten aus der Gründerzeit, dann die kleineren Siedlungen der zwanziger Jahre, in denen die Arbeiterfamilien der damals unabhängigen Stadt lebten; dann die Bauten und Siedlungen aus den Gründerjahrzehnten der alten Bundesrepublik: Von den HICOG-Häusern über den Langen Eugen bis zur Vielzahl der Beamtensiedlungen, mehrstöckig, in vielen Fällen großzügig geschnitten und von Rasen und Bäumen umgeben. Eingestreut die Zeugnisse ehemaliger oder noch ausgeübter industrieller Tätigkeiten von den Vereinigten Aluminiumwerken Bonn im Norden bis zu SGL Carbon im Süden. So ist aus Bonn und Godesberg räumlich gesehen ein dicht bebauter „langer Stadt-Lulatsch“ längs des Rheins entstanden.

Die zweite Aussage betraf den Charme des Diplomatenviertels. In manchen Vierteln Bad Godesbergs ist vom Charme der früheren Diplomatie nichts, und in anderen ist nichts mehr zu spüren. Vielleicht ist das sowieso ein Mythos. So schrieb der GA 2014: „Im Stadtbezirk Bad Godesberg stehen 15 Jahre nach dem Wegzug des Bundestages und der meisten Botschaften noch 13 ehemalige Botschaften leer. Da im Falle Irans, Südafrikas und Indonesiens jeweils die ehemalige Botschaft und die frühere Residenz leer stehen, kommen diese Immobilien noch hinzu. Mit den Sonderfällen China, Syrien und Algerien sind es insgesamt 16 Gebäude, deren Zukunft ungewiss beziehungsweise nicht offiziell geklärt ist.“ http://www.general-anzeiger-bonn.de/bonn/bad-godesberg/Diplomatische-Hinterlassenschaft-article1435866.html

Die frühere US-Botschaft in Rüngsdorf  mit ihren grauen Zweckbauten hatte nie Charme. Die Botschaft der UdSSR mit  ihrem hellen, neugotischen Stuckgesicht stand außerhalb Bonns. Mit den Botschaften und dem Botschaftspersonal hatten Abertausende Bonner ein Leben lang nichts zu tun.

Das Planungsbüro sollte sich –  bitteschön – mal in Lannesdorf oder Mehlem umschauen. An der Nesselburg, auf dem Rodderberg, in den nach Figuren aus der Siegfried-Saga benannten Straßen in Rheinnähe – Spurenelemente langsam vergehenden oder verwehenden Botschaften-Charmes.  Mehr nicht. Was bleibt? Eine der Lehren, die zu ziehen sind (1), liegt auf der Hand:

Ein Stadtteil, der beengt ist und der  „seine Ellenbogen nicht“ ausfahren kann, der hat nichts zu verschenken und nichts zu verkaufen; schon gar nichts von dem, was viele Godesberger  (und –innen selbstverständlich) zu schauen, zu nutzen gewohnt sind; und was sich modernisieren, anpassen, verbessern lässt – wie zum Beispiel das Kurfürstenbad.

Eine weitere (2) Lehre lautet: In diesem großen, eben beschriebenen Wirtschafts- und Siedlungsraum sollte Godesberg seine Rolle spielen können: Als  Stadtteil mit exzellenten Bildungseinrichtungen; mit hoffentlich künftig einer ergiebigen Anbindung  an eine Hochschule und Unterbringungsmöglichkeiten für Studierende.

Ich frage mich, warum Ministerien und zu den Geschäftsbereichen  der Ministerien  zählende Ämter, Post und Telekom  und UNO und anderes mehr sich auf der Mitte Bonns und im  Nordwesten ansiedeln, aber nie im Süden. Es ist wie bei einer städtebaulichen Quarantäne.

Die dritte (3) Lehre: Wo die Grundstruktur so ist wie in Godesberg,  wo also Wohnungen und Heime und Geschäfte und öffentliche  Gebäude sich in ihren Existenzen eng aneinander „arrangiert“ haben, da müssen die Funken aus dem Vorhandenen  geschlagen werden: Wo gibt es in Godesberg die begrünten Dächer und Dachgärten, die einladen?  Was passiert (4) auf dem breiten Raum, der sich öffnet,  wenn Mensch vom Theater auf das Altstadt-Center steigt, mit dem breiten Anstieg und der wie für Sommertheater erfundenen Fläche darüber? Wird dort nur gesungen; Guter Mond, du gehst so stille….

Godesberg hat (5) eine reiche Stadtgeschichte. Wer erzählt sie so, dass möglichst viele sie mitbekommen? In Berlin erzählen, wenn an den Eingängen von Untergrundbahnen gebaut wird, lange Holzwände mit Bildern, Fotos und Erklärtexten Geschichten und Geschichte des Orts, an dem gebaut wird. Und in Godesberg? Was sagt uns der Ria-Maternus-Platz? Was erzählt die Ecke Koblenzerstraße/Alte Bahnhofstraße, wo früher über dem heutigen Bäcker eine verschwiegene Bar abends öffnete, in der Prominenz ihre Absacker trank.

Und was ist mit dem Moltkeplatz, wenn die Marktwagen wieder verschwunden sind? Kein Speakers Corner zu bestimmten Zeiten? Keine Rockmusik am späten Samstagnachmittag?  Singt man dort spät und leis auch: Guter Mond, die gehst so stille oder singt man dort: Weißt du, wie viel Sternlein stehen…? Was kann Mensch über die Menschen erfahren, die im 19. Jahrhundert Godesberg interessant machten? Was kriegt ein Besucher über die vielen Fräulein-Schulen mit, die wie Perlen zur Kaiserzeit aufgereiht waren, was über die Deutschen jüdischen Glaubens und deren Schicksale?

Warum möchte (6) niemand eine Straßenbahn haben, die vom Godesberger Bahnhof bis nach Mehlem führt, wo Mensch parken könnte, damit ein so tolles innerstädtisches  Gelände wie die halbe Rigalsche Wiese etwas anderes tut, als PKW tagsüber im Schlaf zu halten. Das wäre eine weitere Lehre: Tu in der Stadt, was Nutzen bringt. Parkende Autos nutzen nicht.

Warum ist es (7) am Rhein so schön – jedenfalls auf der Beueler Seite mit ihren langen, parkähnlichen Abschnitten, wo man den Tag verträumen kann, bei gutem Wetter im Frühjahr und im Sommer. Gäb´ es doch wenigstens auf der linken Rheinseite ein Bäderschiff, ein ständiges: morgens Fango, abends Tango. Wär das nix?

Ich habe darauf gewartet, dass  für Godesberg die Ideen gesammelt werden – meinetwegen auch durch ein Ingenieurbüro und  gegen Geld. Aber Grundstruktur und Charme stattdessen – das ist zu wenig.

Badneubau im Wasserland ist alternativlos? Unsere Stadt braucht keine Neiddebatte

Für das weitere Schicksal des Kurfürstenbades in Bad Godesberg war der 23. Januar ein äußerst wichtiger Tag: Denn die Mehrheit im Bonner Stadtrat aus CDU, Grünen und FDP hat das Bürgerbegehren zum Kurfürstenbad abgelehnt und damit den ersten Bürgerentscheid in der Bonner Geschichte herbeigeführt.
Diese Entscheidung kann man richtig oder falsch finden, sie eröffnet in jedem Fall die Chance, dass im nun unweigerlich folgenden „Wahlkampf“ alle Argumente in die Debatte eingebracht werden. Und das wäre gut so, denn viele berechtigte – zumal aus Godesberger Sicht – und entscheidende Fragen sind bisher unbeantwortet geblieben.
In der bisherigen Diskussion um die Schließung des Kurfürstenbades und den geplanten Neubau in Dottendorf fällt auf, dass der Neubau vom OB und anderen gerne als „alternativlos“ bezeichnet wird. Alternativlos allerdings ist nichts, im Leben nicht und in der Politik schon gar nicht. Wer von Alternativlosigkeit spricht, will für gewöhnlich jede Diskussion abwürgen und das Vorhandensein anderer Standpunkte als ausgeschlossen abtun. Alternativlos ist allenfalls die Situation der meisten Schulen in Bad Godesberg, denn wo sonst sollen sie Schwimmunterricht abhalten, wenn nicht in erreichbarer Nähe.
Das Interesse der Sportschwimmerinnen und -schwimmer an einem wettbewerbstauglichen Hallenbad ist nachvollziehbar, aber das Recht der Schulkinder auf Schwimmunterricht wiegt mindestens ebenso schwer. Und solcher lässt sich natürlich nur realisieren, wenn die Wasserfläche während der Unterrichtszeit innerhalb einer akzeptablen Fahrzeit erreichbar ist.
Wer nun den Neubau in Dottendorf als „alternativlos“ und ein Votum für das Kurfürstenbad als Todesurteil für das Hardtbergbad darstellt, spielt die Interessen der Stadtbezirke gegeneinander aus, zettelt eine unselige Neiddebatte an und operiert überdies mit unrichtigen Tatsachenbehauptungen. Denn die Sanierung des Hardtbergbads ist bereits beschlossen, die Mittel dafür – wie auch für das Beueler Hallenbad – sind im Haushalt vorgesehen.
Was wir brauchen, sind lebenswerte und funktionierende Stadtbezirke, und dazu gehört auch ein attraktives, problemlos zu erreichendes Hallenbad. Was wir nicht brauchen in dieser Stadt, ist eine Neiddebatte. Was wir erst recht nicht brauchen ist eine Austrocknung – im doppelten Sinn des Wortes – der Stadbezirke zugunsten der Zentralisierung.